Das Überholen und der Linksabbieger

  • Sachverhalt:


    Am 2. Juli 2003 fuhr H. gegen 17.30 Uhr mit ihrem Personenwagen auf der Oberalpstrasse von Ilanz in Richtung Tavanasa. Hinter ihr folgten ein Reisecar, dann weitere Fahrzeuge und schliesslich die zwei Motorradlenker A. und O. Die Kolonne war mit ca. 70 km/h unterwegs. H. beabsichtigte, auf der Höhe der Abwasserreinigungsanlage Serenera nach links auf den Ausstellplatz abzubiegen. Rund 200 m davor betätigte sie den linken Blinker, verlangsamte ihre Fahrt, sah in den Rückspiegel, sah den ihr folgenden Reisecar und spurte ein. Als H. abzubiegen begann, stiess sie auf dem linken Fahrstreifen mit A. zusammen, der im Begriffe war, die Fahrzeugkolonne in einem Zuge zu überholen, und in der Folge stürzte. Dem anderen Motorradlenker O. gelang es nicht mehr, dem auf der Strasse liegenden Motorrad auszuweichen, so dass er auf dieses aufprallte und ebenfalls stürzte. A. und O. zogen sich leichte Verletzungen zu.


    Zu den Motorradfahrern ist folgendes aus den Ermittlungen hervorgegangen:


    Aus dem Gutachten ergibt sich, dass der zweite überholende Motorradfahrer O. vor Bremsbeginn eine Geschwindigkeit zwischen 91,4 und 99,8 km/h hatte, während die Bremsausgangsgeschwindigkeit von A. zwischen 69,3 und 77,3 km/h betrug. Da der Experte diese Bremsausgangsgeschwindigkeit gestützt auf die Spurenzeichnung des blockierten Vorderrades errechnete, der Motorradfahrer aber die Bremsung bereits zuvor eingeleitet hatte wird von einer überhöhten Geschwindigkeit ausgegangen.


    Mini Frog: Wer isch us eurer Sicht tschuld? Warum? Konsequenze?


    Ischen wahre Fall wo sich so zuetreit hät und han natürlich au die korrekti Uflösig. Zum Grund warum i so nebis fröge: Wem chunnt die Situation nöd bekannt vor? Als Töff- oder Autofahrer? Hoffentlich eifach ohni Unfall!


    Gruess

    Be faster!

  • typischi situation... ich find als töfffahrer muesch sowieso au für anderi luege und nöd eifach mal drufflos e kollone überhole...


    schuld trifft denki mal de autofahrer, bim überhole und au bim abbüge muess mer ja luege dass keine vo hine chunt... aber ebe... aamigs weiss i nöd was gwüssi lüt uf em töff überlegged... uf em töff chacsh di eh nie druff verlah dass de vortritt hesch... ich tuen lieber uf de vortritt verzichte dafür fahr i di nöchscht saison mit em gliiche töff... :smiling_face:


    gruess...

    wenn man rechts dreht wird die landschaft schneller!

  • Aha.... jetzt aber, Widow's Verkehrs-Kreuzwort-Rätsel


    Grundsätzlich muss voraus geschickt werden, dass unabhängig der Artikel von SVG und VRV und wie sie alle heissen unterschiedlich vor Gericht beurteilt und eben verurteilt werden kann. Auch ein BGE kann plötzlich gekippt werden....


    In diesem Falle gäbe es 3 Verzeigungen (die Polizei kann grundsätzlich einfach mal alle Beteiligten verzeigen...)


    H wegen Fahrlässiger Körperverletzung gegenüber dem verletzten Motorradfahrer A (sofern A Antrag darauf stellt)


    A wegen Unvorsichtigem Überholen und Nichtbeherrschen des Fahrzeuges (mit anschliessender Kollision, Auffahrunfall mit H)


    O wegen Unvorsichtigem Überholen, Ungenügendem Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden A und Nichtbeherrschen des Fahrzeuges, weil er dem gestürzten A nicht Ausweichen konnte.


    Begründung:


    Überholen gehört zu den gefährlichsten Manövern überhaupt und ist nur gestattet, falls der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird (35/2 SVG). Wer nun eine Fahrzeugkolonne überholen will, muss die Gewissheit haben, gefahrlos (!) vor dem Ende des für ihn sichtbaren Raums wieder einbiegen zu können. Der Überholende ist gegenüber anderen Strassenbenützern (in dem Fall auch gegenüber H) zu besonderer Rücksicht verpflichtet (35/3 SVG).
    Steht die Kolonne übrigens, so gilt Überholverbot! Motorradfahrer müssen ihren Platz in der Fahrzeugkolonne einhalten (47/2 SVG).


    Konsequenzen für die Beteiligten:


    H = Busse (wg Körperverletzung gegenüber A)


    A = Busse und Entzugsandrohung des FA, ev sogar Entzug, wenn 90/2 zur Anwendung kommt (grobe Verletzung von Verkehrsregeln), da er durch sein Überholmanöver mit einem abbiegenden Pw kollidierte und eine Gefährdung in Kauf nahm (?!) H hatte ja korrekt eingespurt und Zeichen zum Linksabbiegen gegeben.


    O = Busse (kollidierte ja nur mit dem am Boden liegenden Motorrad, nicht mit A?)


    Das Ergebnis der Auswertung des Gutachtens, eben die überhöhte Geschwindigkeit der Motorradfahrer, wird in der Praxis einfach mit einfliessen in den Überholvorgang. Das hier noch explizit auf Geschwindigkeitsüberschreitung rapportiert werden würde, glaube ich kaum. Einfach im Text einfliessen lassen mit dem beiliegenden Gutachten resp der Auswertung.


    Na ja, Widow, ist pssssst..... aber ungefähr so könnte die Sache laufen.
    Bin gespannt auf DEINE Auflösung


    Gruss Eric

    Der Kern eines guten Motorrades liegt in der Technik, NICHT in der Optik :grinning_squinting_face:

    Schleichfahrt ist ein Betriebszustand von getauchten militärischen U-Booten


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    https://www.youtube.com/user/katpava/videos

  • Das tückische an der Situation ist der Reisecar. Der nimmt sowohl H die Sicht nach Hinten wie auch A und O die Sicht auf A, insbesondere den Blinker von A.
    Unter Umständen (gerade wenn der Car etwas nahe auffährt) sieht also H nicht, wie A und O zum Überholen ansetzen und diese wiederum sehen nicht, dass H abbiegen möchte - bzw. erst zu spät.


    Meine einzige kritische Situation überhaupt auf dem Mopped war genau so ein Linksabbieger (allerdings ohne Blinker), als ich überholen wollte.
    Seither vermeide ich ganz einfach Überholvorgänge, wo das Linksabbiegen irgendwie möglich ist.


    In meinen Augen sind ganz klar A und O diejenigen, die den Unfall hätten vermeiden können. Denn H musste ja abbiegen, musste also irgendwann ausscheren, während A und O locker hätten warten können. Zudem sieht man nach hinten bedeutend schlechter als nach vorne. Meine Sichtweise hat aber mit dem Gesetz manchmal recht wenig zu tun :winking_face:


    Rechtlich gesehen wird H sicher nicht um eine Busse rumkommen. Wer einen "Schwächeren" abräumt, hat grundsätzlich mal schlechte Karten.


    Überholen ist ein verdammt gefährliches und auch schwieriges Unterfangen. Gerade in Gruppen haben viele das Gefühl "ach wenn mein Vordermann vorbeikommt, schaff ich es auch", und das stimmt eben nicht immer. Manchmal, kommt es vor, dass das Ausscheren, vorbeifahren und wieder einscheren sehr rasch und kurzfristig erfolgt. Wenn es sich der erste während dem Überholvorgang anders überlegt und in eine Lücke zweier Autos fährt, wirds für den nachfolgenden Lemming u.U. sehr heikel. Also: keep it cool!
    Tipp: Setzt den Blinker beim Überholen frühzeitig. Lasst es wenn nötig ruhig eine halbe Minute oder über mehrere Kurven hinweg blinken. Der Hintermann soll wissen, dass ich demnächst zum Überholen ansetze. Das gibt uns beiden Sicherheit.

    Einer ist immer schneller - zum Beispiel ich :winking_face:
    Quod gratis asseritur, gratis negatur

  • Ja das ist immer so eine Sache. Klar müsste der Autofahrer schauen, aber so lange er früh genug blinkt ist meiner Meinung der Motorradfahrer in der Plicht, da er ja von hinten kommt. Klar gibt es auch viele Deppen die viel zu spät oder gar nicht blinken, wo man dann denkt, dass es jetzt auch nichts mehr bringt, da man schon lange vom Fahrverhalten her merkt, dass er abbiegen wollte. Und wenn das Auto mit etwa 70 km/h fuhr und 200 m vorher geblinkt hat ist das meiner Meinung nach früh genug für den Motorradfahrer.


    Wie schon erwähnt ist es teilweise wirklich fragwürdig, wie gewiss Töfffahrer überholen. Ich bin auch regelmässig auf der A1 unterwegs (zwischen Aarau und Zürich) wo auch mal etwas stockender Verkehr herrscht und mit was für Tempi die Motorradfahrer da teilweise zwischendurch fahren :cursing: .

  • Richtig, sneaky_Phil


    Der Überholende ist immer in der Pflicht, Art. 35 Abs. 3, 5 und 6 SVG regeln dies....


    Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen.
    Fahrzeuge dürfen nicht überholt werden, wenn der Führer die Absicht anzeigt, nach links abzubiegen....
    Fahrzeuge, die zum Abbiegen nach links eingespurt haben, dürfen nur rechts überholt werden (sofern das Rechtsüberholen zulässig ist)....

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  • Richtig, sneaky_Phil


    Der Überholende ist immer in der Pflicht, Art. 35 Abs. 3, 5 und 6 SVG regeln dies....


    Wer überholt, muss auf die übrigen Strassenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen.
    Fahrzeuge dürfen nicht überholt werden, wenn der Führer die Absicht anzeigt, nach links abzubiegen....
    Fahrzeuge, die zum Abbiegen nach links eingespurt haben, dürfen nur rechts überholt werden (sofern das Rechtsüberholen zulässig ist)....

    Naja, nach Gesetz "richtig" muss ja nicht immer sinnvoll sein ;). Aber hier finde ich es ok, solange der Abbieger frühzeitig blinkt, wie oben schon erwähnt. Es ist generell sehr mühsam mit der Blinkerei. Teilweise gar kein Blinken oder dann viel zu spät. Auch je nachdem wenn man irgendwo wartet oder extra anhalten muss (Kreisel, Ausfahrt, Kreuzung) nur weil das heran nahende Fahrzeug einfach zu spät oder gar nicht blinkt X( .

  • Die Auflösung


    Schuld hat die Autofahrerin. Bekam einen Ausweisentzug. Sie zog den Fall vor das Bundesgericht.


    Grundsätzlich darf sich nach dem Vertrauensgrundsatz jeder Strassenbenützer darauf verlassen, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer ebenfalls ordnungsgemäss verhalten, ihn also weder behindern noch gefährden. Das gilt allerdins dann nicht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein anderer Verkehrsteilnehmer nicht richtig verhalten wird.
    derartige Anzeichen können sich unter anderem aus unklaren bzw. ungewissen Verkehrslagen ergeben, in denen mit möglichem Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer gerechnet werden muss. Solche Situationen sind besonders gefahrenträchtig und erfodern daher ein risikoarmes Verhalten.
    Indem die Automobilistin ihre Fahrt zum Linksabbiegen verlangsamte, unterbrach sie den Verkehrsfluss. Dadurch schuf sie laut Bundesgericht eine erhöht gefahrenträchtige Situation für die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer. Da der Reisecar der Lenkerin die Sicht nach hinten erschwerte. hätte sie erkennen müssen, dass die ihm folgenden Fahrzeuge die Situation vor dem Bus nicht überblicken konnten. Aufrund dieser unübersichtlichen Situation hätte sie besonders vorsichtig sein müssen. Insbesondere hätte sie sich unmittelbar vor dem Abbiegemanöver noch einmal vergewissern müssen, ob nicht eines der ihr nachfolgenden Fahrzeuge zu einem Überholmanöver angesetzt hatte.
    Somit durfte sie sich nicht auf das für nachfolgende Fahrzeuge geltende Linksüberholverbot verlassen dürfen.



    Für die welche es ganz genau wissen möchten: BGE



    Schriebfähler dörfet er bhalte! :grinning_squinting_face:


    Zitat

    3.2 Die Beschwerdeführerin ist mit Strafmandat des Kreispräsidenten Cadi der fahrlässigen Körperverletzung gemäss Art. 125 Abs. 1 StGB sowie der Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 1 SVG) schuldig gesprochen worden, weil sie es beim Abbiegen an der erforderlichen Rücksichtnahme auf die nachfolgenden Fahrzeuge vermissen liess (Art. 34 Abs. 3 SVG), wovon sie trotz pflichtgemässer Zeichengebung nicht entbunden war (Art. 39 Abs. 2 SVG). An dieses Straferkenntnis hat sich die Vorinstanz im Administrativverfahren nicht als gebunden erachtet. Sie hat namentlich ein von der Beschwerdeführerin zu den Akten gegebenes verkehrstechnisches Gutachten in die Beurteilung mit einbezogen. Die Vorinstanz nahm an, eine überhöhte Geschwindigkeit könne den Motorradfahrern zwar nicht nachgewiesen werden, sei aber zu Gunsten der Beschwerdeführerin zu unterstellen. Selbst unter Berücksichtigung einer überhöhten Geschwindigkeit der Motorradfahrer gelangt das Kantonsgericht zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin es an der gebotenen Rücksichtnahme auf die nachfolgenden Fahrzeuge beim Linksabbiegen hat vermissen lassen. Zwar könne sie sich nach dem Vertrauensgrundsatz darauf verlassen, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer verkehrsregelkonform verhielten, sie habe jedoch unabhängig vom unterstellten Fehl-verhalten der Motorradfahrer ihr obliegende Sorgfaltspflichten missachtet, indem sie es versäumt habe, sich unmittelbar vor dem Linksabbiegen noch einmal zu vergewissern, dass sich kein Fahrzeug von weiter hinten nähert.

    Be faster!

  • Hmmm..... überraschend, aber eben BGE


    Hier ein im weitesten Sinne ähnlicher Fall, in welchem anders entschieden wurde:
    BGE 129 IV 155


    A befand sich mit seinem Auto im stockenden Kolonnenverkehr auf einer Hauptstrasse. Er schlug, ohne zuvor gegen die Mittellinie eingespurt zu haben, die Räder nach links ein. Nachdem er auf der übersichtlichen Gegenfahrbahn keinen Gegenverkehr sah, betätigte er den Blinker, blickte in den Aussenrückspiegel und über die Schulter zurück. Da er hinter sich keine Fahrzeuge wahrnahm, die die Kolonne überholten, begann er langsam mit dem Wendevorgang (Anm: wodurch die Kolonne sicher auch ins Stocken kam). Dabei fuhr der Motorradfahrer X hinten seitlich in den Wagen von A.
    X erlitt bei der Kollision verschiedene Verletzungen. Etwa 100-150m vor der Unfallstelle hatte er dazu angesetzt, die stockende Fahrzeugkolonne mit einem Tempo von 60-80 km/h links zu überholen Den Wagen von A hatte er nur 20-30m vor der Kollision gesehen. Der Unfall hatte juristische Folgen: A akzeptierte die ihm auferlegte Busse von Fr. 600.- wegen einfacher Körperverletzung. X jedoch wehrte sich dagegen, wegen einfacher Verletzung von Verkehrsregeln in Verbindung mit Art. 35 Abs. 2 und 3 SVG mit Fr. 300 gebüsst zu werden.


    (Und die Begründung?)
    Überholen gehört - vor allem auf Strassen mit Gegenverkehr - zu den gefährlichsten Fahrmanövern. Wenn nicht ganz verboten, ist Überholen deshalb nur gestattet, falls der nötige Raum übersichtlich und frei ist und der Gegenverkehr nicht behindert wird (35/2 SVG). Wer eine Fahrzeugkolonne überholen will, muss, wenn er zum Überholen ansetzt, Gewissheit haben, gefahrlos vor dem Ende des für ihn sichtbaren Raums wieder einbiegen zu können. Der Überholende ist gegenüber anderen Strassenbenützern, namentlich jene, die er überholt, zu besonderer Rücksicht verpflichtet (35/3 SVG). Motorradfahrer müssen, wenn der Verkehr angehalten wird, ihren Platz in der Fahrzeugkolonne einhalten (47/2 SVG). Nach der Rechtsprechung des BG ist ein Motorradfahrer, der sich in einer Fahrzeugkolonne befindet, zum Anhalten verpflichtet, wenn das Fahrzeug vor ihm oder jenes, das er gerade überholt, stoppt. Dies gilt auch, wenn die Fahrzeuge sich langsam oder STOCKEND fortbewegen etc etc etc



    Man sieht, obwohl sich immer alles um die gleichen paar wenigen Artikel dreht, wird immer wieder anders und neu entschieden. Deshalb gibt's ja Hundertschaften von Rechtsanwälten, welchen an den eigentlich einfach Artikeln arbeiten, Lücken suchen und verschiedenste Urteile hervorbringen.... inkl. BGE


    THX für Deinen Beitrag Widow

    Der Kern eines guten Motorrades liegt in der Technik, NICHT in der Optik :grinning_squinting_face:

    Schleichfahrt ist ein Betriebszustand von getauchten militärischen U-Booten


    [font='Times New Roman, Times, Georgia, serif']

    https://www.youtube.com/user/katpava/videos